Selbstverteidigung
emblem gut 021215-2

Kung Fu Schule Stuttgart

Schule für Kung Fu und Tai Chi

Selbstverteidigung

Allgemeines zum Selbstverteidigungstraining

Das Selbstverteidigungstraining an der Kung Fu Schule Stuttgart ist vielschichtig.
Natürlich geht es darum, Notsituationen zum einen gar nicht entstehen zu lassen, zum anderen – wenn sich Notsituationen nicht vermeiden lassen - sich oder anderen helfen zu können.
Es ist wichtig sich anbahnende Not- und Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen und soweit möglich zu umgehen.
Kommt es dennoch zu einer Situation, in der ich bedrängt, festgehalten oder drangsaliert werde, so ist es wichtig, dass ich mich angemessen verhalte. Grundsätzlich will ich eine Eskalation vermeiden und hochkochende Gemüter besänftigen. Schwierig ist dies, wenn ich provoziert, beleidigt oder herabwürdigend behandelt werden. Ich will mich zum einen nicht „unterbuttern“ lassen, zum anderen will ich eine körperliche Auseinandersetzung vermeiden.

Innere Ruhe und Ausgeglichenheit sowie eine Betrachtung der Situation aus einer Metaebene und ein gefestigter Charakter sind hilfreich um Souverän (also Selbst-bestimmt) zu bleiben. Meine Möglichkeiten zu reagieren sind vielfältig. Zu meinen, auf eine Provokation kann ich nur mit Aggression reagieren ist der sichere Weg in eine evtl. gefährliche Auseinandersetzung. Ich weiß in der Regel nicht, welches Können, welches Aggressionspotenzial, welchen Hintergrund und welche Waffen gegen mich eingesetzt werden könnten.
Sicherlich kann ich aggressiv, zurechtweisend, einschüchternd reagieren. Ebenso kann ich aber auch humorvoll, ausweichend, ablenkend oder „ungewöhnlich“ (in welcher Art auch immer) reagieren. Doch auch mit einer deeskalierenden Reaktion meinerseits wird sich nicht jede körperliche Auseinandersetzung verhindern lassen.

Kommt es nun zu einer körperlichen Auseinandersetzung, so kann es sein, dass ich festgehalten werde, dass ich umklammert werde, dass etwas auf mich geworfen wird oder dass der andere anfängt nach mir zu schlagen oder zu treten. Auf alle diese Angriffe will ich passende „Antworten“ parat haben.
Hierbei ist zu beachten, dass ich als Kampfkünstler die Verantwortung habe (auch rechtlich), die mildest-möglichen Verteidigungstechniken einzusetzen. Füge ich dem Angreifer der Situation nicht angemessene Schäden zu, so kann ich als Kampfkünstler juristisch zur Verantwortung gezogen werden.
An der Kung Fu Schule Stuttgart haben wir ein System von 9 Stufen der möglichen Reaktion auf einen Angriff. Welche hiervon angemessen ist, ist jeweilig von der Bedrohungssituation und den Beiteiligten Individuen und Randbedingungen abhängig.
Auf den ersten 3 Stufen befreie ich mich und manipuliere den Gegner, ohne ihm Schaden zuzufügen. Auf den Stufen 4-6 kommen Verteidigungstechniken zum Einsatz, die vorübergehende Dysfunktionen (wie Lähmungen, Atembeschwerden oder KOs) verursachen. Auf den Stufen 7-9 (die nur in Extremsituationen angemessen sein können) füge ich dem Gegner reparable oder irreparable Schäden zu um einer Notsituation zu entkommen.

Zieht man all das Gesagte in Betracht, so wird klar, dass Selbstverteidigung auf einer mentalen Ebene
- mit meinem Verhältnis zu mir selbst (Selbstbewusstsein; Innere Ruhe; Ausstrahlung) 
- mit meinem Verhältnis zu anderen (Gruppendynamik; erlaube ich mir, andere falls
  erforderlich zu besiegen?; Umgang mit Provokationen; Durchsetzungsvermögen; innere
  Unabhängigkeit)
- mit dem Maß meiner Aufmerksamkeit für Gefahrensituationen
zu tun hat.

Kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen, so muss ich Befreiungstechniken beherrschen. Idealerweise kann ich Angriffe frühzeitig erkennen und intuitiv abwehren. Wenn ich Hebeltechniken und Wurftechniken beherrsche, so ist dies hilfreich. Wenn ich Kenntnisse über Taktiken und Strategien im Kampf habe, so ist dies vorteilhaft. Wenn ich eine gut entwickelte Schlagkraft habe und zudem die empfindlichen Stellen am menschlichen Körper kenne, so ist dies evtl. erfolgskritisch. Womöglich hat eine zierliche Person nur Zeit für einen guten Schlag gegen einen kräftig gebauten Angreifer. Kenne ich neurologische und energetische Zusammenhänge im Körper und weiß, wie ich diese beeinflussen kann, dann kann ich mich auch gegen körperlich größere, stärkere und schwerere Gegner effektiv verteidigen.

All diese Aspekte sind Inhalt unseres Selbstverteidigungstrainings.

Auf einer ersten Stufe lernen unsere Schüler auf dem Weg zu intuitivem Abwehren Block- und Abwehrtechniken kennen und beherrschen. Wir üben Befreiungstechniken gegen diverse Haltegriffe und unterrichten Hebel- und Wurftechniken sowie Prinzipen und Anwendungen des Nervendruckpunkt-Schlagens.
Auf der nächsten Stufe kommt hinzu, dass wir aus den Bewegungen, Besonderheiten und Taktiken der diversen Kung Fu Stile (die wie an unserer Schule unterrichten) einen Mehrwert für die Selbstverteidigung ziehen. Wir setzen uns mit den Besonderheiten der diversen Stile auseinander und übertragen diese Prinzipien in Selbstverteidigungssituationen. Für viele überraschend stellen wir immer wieder fest, dass die in den Formen der einzelnen Stile enthaltenen Techniken und Prinzipien nicht umsonst über Jahrtausende bewahrt und weitergegeben wurden. Viele dieser Prinzipien bieten gerade für die Selbstverteidigung einen echten Mehrwert.
Als Beispiele seien hier – um nur ein paar zu nennen - die Schlagtechniken mit den „Pranken des Tigers“, die Wirkung der Greiftechniken mit der „Adlerklaue“, das „Fang-Schlagen“ und das „Schwerpunkt Bewegen“ des Gottesanbeterin Stils, das „Trommelfeuer“ und „Überrennen“ des Hsing Yi, die ausweichende und rotatorische Kraftentwicklung des Ba Gua, die Härte des Südshaolin, die „Nadel im Heuhaufen“ des Tai Chi, das Ablenkende und Überraschende des Betrunkenenstils genannt.

 

Hebeltechnik: Bei der „Hebeltechnik“ bzw. beim „Chin Na“, was soviel heißt wie „Nehmen und Kontrollieren“ unterscheiden wir 5 Prinzipien von Techniken.
1. Knochen „verrenken“, 2. Sehnen, Muskeln, Bänder überstrecken, 3. Atem des Gegners verändern, 4. Blutzirkulation des Gegners verändern, 5. Energiekörper des Gegners verändern.
In den grundlegenden Techniken, die wir an unserer Schule unterrichten konzentrieren wir uns stark auf die beiden erstgenannten Prinzipien, auch wenn sich Aspekte des Nervendruckpunkt-Manipiulierens oft schwer heraus halten lassen und die Effektivität und Leichtigkeit von Techniken enorm erhöhen.
Die Themen Atem und Blutzirkulation verändern sind in der Regel so gefährlich, dass wir diese aus dem normalen Unterricht weitgehend heraus halten und nur langjährigen Schülern anvertrauen, die sich als charakterlich hierfür geeignet erwiesen haben.
Bei den Hebeltechniken werden Techniken gegen viele Standard-Angriffe unterrichtet. Natürlich sind diese auch gegen Schläge und Tritte einsetzbar – im Greifen jedoch zunächst anspruchsvoller als gegen Angriffe, bei denen ich gegriffen, umklammert und festgehalten werde. Erst auf einem höheren Niveau, wenn Blocktechniken und Ausweichbewegungen verinnerlicht sind ist es realistisch sinnvoll, Hebeltechniken einzusetzen.
Unsere Schüler sollen über das Verständnis für die einzelnen Hebeltechniken an sich auch noch ein Gefühl entwickeln, ab welcher Schwelle ein ausreichend starker Reiz im Gegner entsteht um diesen kontrollieren zu können ohne dabei Schaden an zu richten (wozu diese Techniken natürlich im Ernstfall gleichermassen geeignet sind).

Wurftechnik: Bei der Wurftechnik lernen unsere Schüler wie bei den Hebeltechniken zunächst verschiedene Prinzipien kennen und beherrschen. So setzen wir uns mit Hüftwürfen, Drehwürfen, Fußfegern, Opferwürfen, u.s.w. auseinander.
Wurftechniken sind wirkungsvolle Kampftechniken. Der Boden kann – je nachdem, wie der Gegner fällt – ein unnachgiebiger und gefährlicher „Verbündeter“ sein. Der Gegner fällt und muss zunächst wieder aufstehen – wenn er sich nicht gar verletzt hat. So sind Wurftechniken geeignet, einen Angreifer ins Lehre laufen zu lassen, zu Boden zu bringen und dem Gegner die eigene Überlegenheit zu demonstrieren und so evtl. eine weitere Eskalation zu vermeiden. Einen schlagenden Angreifer werfen zu wollen muss wohl abgewogen werden. Kommt der Gegner wieder, so ist evtl. eine gute Gelegenheit, wirkungsvollere Techniken anzuwenden vergeben und der Gegner bleibt evtl. gefährlich.
Wurftechniken werden aber häufig auch sinnvoll als Abschlusstechnik eingesetzt – nachdem ein Angriff abgewehrt und der Gegner wirkungsvoll gekontert wurde mag eine Wurftechnik eine Selbstverteidigungssituation abschliessen.

Grundsätzlich arbeiten wir mit Hebel und Wurftechniken auf verschiedenen Stufen des Könnens. Auf der ersten Stufe soll die Technik Solo und mit Partner langsam aber korrekt ausgeführt werden. Der Angriff ist festgelegt und dient dazu das Prinzip der Wurftechnik zu erfassen. Auf der 2. Stufe wird die Wurf- oder Hebeltechnik auf angekündigte Angriffe flüssig und schnell ausgeführt. Auf der 3. Stufe wird die Auswahl an Angriffstechniken erweitert und nicht angekündigt – der sich verteidigende reagiert zunehmend intuitiv flüssig, schnell und realistisch. Auf der 4 Stufe wird gegen eine beliebige Anzahl von Angreifern, die mit nicht angekündigten Techniken angreifen dürfen intuitiv reagiert. Hierbei dürfen aus einem bestimmten Repertoire Hebel- Wurf- Block- und Kontertechniken eingesetzt werden.

Nervendruckpunkt-Techniken: Basis für die Ausführung von Techniken gegen Nervendruckpunkte ist natürlich die Kenntnis der Lage der relevanten Punkte. Diese basieren auf der chinesischen Medizin und sind entlang der Meridiane auf dem ganzen Körper verteilt. Manche dieser Punkte reagieren auf Druck, andere auf Schlagtechniken, wieder andere auf Reibung. Um eine optimale Wirkung zu erzielen ist zudem auch noch die Richtung der Kraftentfaltung und die Intention bei der Ausübung der Technik relevant. Die Wirkung korrekt ausgeführter Techniken ist oft überraschend. Das Schöne dabei ist, dass quasi kein Schaden im Gegner angerichtet wird. So sind mit Kenntnis von Nervendruckpunkttechniken auch für zierliche Menschen mit wenig Kraftaufwand wirkungsvolle Verteidigungstechniken gegen kräftige Angreifer möglich. Ohne diese Kenntnis ist dies nur schwer oder gar nicht umsetzbar. Natürlich ist das genaue Treffen dieser Punkte Übungssache – wie die Ausübung jeder anderen Kunst auch. Doch mit beharrlichem und engagiertem Üben lassen sich Erfolge auf diesem Weg nicht vermeiden.
Michael Lieven und Mohamed Lamrabet sind Meister (2. Meister-Dan) in dieser Kunst, die implizit in alle unsere Kampfanwendungen mehr oder weniger stark ausgeprägt einfließt.